A139 ne A133
Dorfidylle.
Scherenschnitt und Collage,
21,5x32,5 cm (LM)
Unterlage minim gebräunt und mit Wurmgängen sowie stellenweise retuschiert.
Johann-Jakob Hauswirth gehört zu den wichtigsten Vertretern des volkstümlichen Scherenschnittes, einer im 19. Jahrhundert beliebten Form des Kunsthandwerks. Über Hauswirths Leben sind nur wenige Details bekannt. Geboren in Saanen, hielt er sich zeitlebens im Grenzgebiet zwischen dem Berner Oberland und dem waadtländischen Pays d'Enhaut auf, wo er als Knecht im Taglohn auf Bauernhöfen sowie als Holzfäller und Köhler arbeitete. Das letzte Drittel seines Lebens verbrachte er eremitenhaft in einer selbstgezimmerten Hütte in der wilden Schlucht von Etivaz. Seine hünenhafte Erscheinung und sein eigentümlicher Passgang machten ihn schon zu Lebzeiten zur legendären Gestalt. Seine ersten Scherenschnitte schuf der Autodidakt erst als Enddreissiger. Hauswirths Hände glichen Pranken, so dass er sich genötigt sah, seine Scheren mit zusätzlichen Drahtringen zu ergänzen, um sie überhaupt führen zu können. Umso mehr überrascht die filigrane Qualität seiner Arbeiten, die sich vom schwarzweissen Faltschnitt zum bunten Falt- und Klebeschnitt hin entwickelten. Die früheste bekannte Farbkomposition datiert von 1847. Ab den 1850er Jahren zog Hauswirth von Hof zu Hof und versuchte so seine Scherenschnitte abzusetzen - meist gegen geringen Lohn oder im Tausch gegen Nahrungsmittel. Thematisch widmeten sich seine Kompositionen dem bäuerlichen Alltag sowie den Alpfahrten und Dorffesten. In seinen letzten Schaffensjahren gesellten sich üppige Blumenarrangements zu den Hauptsujets. Die kleineren, ungerahmten Scherenschnitte mit Darstellungen von Reitern, Paaren oder Blumenbouquets waren als Buchzeichen oder Hausbibelmarken bei den Bauern begehrt. Bei grösseren Kompositionen entwickelte der Berner mittels mehrschichtig übereinander gelagerter Scherenschnittschichten seine eigene Collage-Technik, bei der entsorgte farbige Altpapiere zum Einsatz kamen. Seine aufwendig und detailreich komponierten Alpfahrten folgen einem wiederkehrenden Bildaufbau mit einem am unteren Bildrand platzierten Bauernhaus, von dem sich der Vieh- und Menschenzug zu einer oft mit Utensilien zur Käseherstellung ausgestatteten Alphütte hinauf bewegt. Hauswirths Scherenschnitte sind fast immer signiert und datiert und zeigen oft zusätzlich bzw. als Signaturvariante den Berner Mutz auf einem Wappenschild. Seiner eigenen künstlerischen Bedeutung nicht bewusst, starb Hauswirth vereinsamt und verkannt. Für seine spätere Entdeckung sorgte der Maler, Zeichner, Pädagoge und Ethnologe Théodore Delachaux, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige Zeit im Pays d'Enhaut verbrachte. Er und sein Bruder Constant Delachaux, Arzt und Mitgründer des 1907 erbauten Kurhotels in Château-d'Oex, erwarben als erste systematisch Hauswirths Scherenschnitte von den lokalen Besitzern und stellten sie in der eigenen Sammlung zusammen.